Gelateria Hill

Das 3000 Jahre alte umbrische Landstädtchen Amelia hat Attraktionen zu bieten, vor denen man als Angehörige eines soeben in die Welt gepurzelten Barbarenstamms vor Erfurcht erzittern könnte. Stadtmauern, die älter sind als die von Rom zum Beispiel. Oder die einzige Kolossalstatue des Feldherrn Germanicus. Oder auch, viel banaler, den Biobauernmarkt in einem freskengeschmückten Kreuzgang.

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Aber beim letzten Markttag wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich keinesfalls die neue, ganz große Sehenswürdigkeit in town verpassen dürfe. Nämlich die Eisdiele von Terrence Hill, gleich um die Ecke, Via della Repubblica 52.

Wer Terrence Hill ist, weiß ich so ungefähr. Aber wirklich nur ziemlich vage und aus dem Internet, denn ich gehöre zu den 0,2 Prozent Deutscher meiner Generation, die noch nie einen dieser Fäuste-Filme gesehen haben. Zu blöd und zu reaktionär, befand mein Vater und verbot es uns. Genauso wie: Sissy-Filme, Bravo, Bild-Zeitung, Comics, Walt-Disney, Nestlé, Coca Cola, Deutsche und Dresdner Bank, Apartheid-Obst aus Südafrika, Wehrdienst (meinen Brüdern) und Pelz (meiner Mutter). Mein Vater, der selbst von höherer Schulbildung nur hatte träumen dürfen, war von einem derartigen Bildungshunger für seine Familie getrieben, dass wir kein einziges Mal Strandurlaub gemacht haben („verblödet nur“), dafür aber jede Menge Gewalttouren durch das Gelände nebst wildem Zelten und von ihm ausgetüftelten Botanikprüfungen. Dazu Ostermärsche und Friedensdemos, denn er war immer schon politisch links und hatte als einziger in unserem Dorf weder ein Auto noch die Mitgliedschaft im Schützenverein.

Terrence Hill hatte in seiner Welt keinen Platz. Stattdessen quälte sich mein Vater durch Fassbinders Berlin Alexanderplatz, das ich mit 14 mitschauen durfte und fürchterlich langweilig fand. Zumal ich mit keinem in meiner Klasse darüber reden konnte. In aller Unschuld erzog mich mein Vater, dieser Freak, zu einem asozialen Snob.

Und jetzt läuft mir auf dem Markt von Amelia Terrence Hill über den Weg. Nicht in persona natürlich. Er heißt ja eigentlich Mario Girotti und die Girottis sind alteingesessene Handwerker und Zuckerfeigen-Fabrikanten. Die Eisdiele, wird mir erzählt, habe es früher schon einmal gegeben. Der Terrence habe sie nur wieder eröffnet. Schauen wir mal.

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So sieht es von außen aus. Drinnen hängen Schwarzweißbilder von den alten Filmen, das Eis aber ist sehr bunt. Zu bunt für meinen Geschmack.

Das war’s dann wohl schon wieder mit mir und Terrence Hill. Frühkindliche Prägung halt. Geblieben ist die grenzenlose Ahnungslosigkeit gegenüber bestimmten Artikeln des Massengeschmacks. Letztes Jahr war ich in Venedig eingeladen, im deutschen Studienzentrum, das in einem wunderbaren Palazzo am Canal Grande untergebracht ist. Der Direktor führte mich auf die Terrasse mit fantastischem Ausblick über den Kanal und wies auf einen Balkon am Nachbarhaus. „Dort sehen Sie“, rief er stolz, „die Dachterrasse der Brunettis.“ Ich muss unglaublich blöd geschaut haben, während ich verzweifelt mein Gedächtnis durchkramte. Brunetti, welcher Brunetti? Politiker? Industriekapitän? Künstler? Dirigent?

„Der Kommissar aus den Donna-Leon-Filmen“, half mir freundlich der Direktor.

Donna Leon, was es alles gibt. Erleichtert nickte ich: „Wie interessant!“

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