Ein alter Traum von mir ist es, ein Buch über Dachse zu schreiben. Dachse gehören in die Kategorie der chronisch unterschätzten Tiere. Sie stehen ewig in zweiter Reihe, so wie der Esel hinter dem Pferd und die Ente hinter dem Huhn. Der Fuchs ist sagenhaft schlau, der Dachs ist… ja, was eigentlich? Man weiß so wenig über ihn. Dabei ist er doch ein wirklich markant aussehendes Geschöpf.
Sodoma verhält sich zu Signorelli ja auch ein wenig wie der Dachs zum Fuchs. Der erste gilt als attraktiver Sonderling, der zweite als einer der ganz großen Stars der Kunstgeschichte. In Monte Oliveto Maggiore sprang Sodoma als Ersatz für Signorelli ein, als dieser einen besseren Job gefunden hatte als die Auspinselei eines Kreuzganges in der toskanischen Provinz. Prompt malte die zweite Wahl Sodoma überall Dachse ins Gewölbe. Der Schwarzweiße auf diesem Fresko trägt ein rotes Halsband, ein Hinweis darauf, dass Dachse in früheren Zeiten gezähmt wurden, etwa um Jagd auf Füchse zu machen. Ganz sicher waren sie kein Schoßhund-Ersatz. Denn Dachse stinken. Wie alle Marder setzten sie ihre Drüsensäfte großzügig zum Markieren und zur Selbstverteidigung ein. Auf diesem Fresko scharen sie sich indes sehr zutraulich um einen jungen Mann, der Sodomas Züge trägt. In seinem Haus in Siena umgab sich der Künstler, der eigentlich Giovanni Antonio Bazzi hieß, außer mit Dachsen auch mit Affen, Papageien und Rabenvögeln. Ihm ist es zu verdanken, dass Meles Meles seinen Auftritt in der Welt der Kunst bekam.
Wir leben ebenfalls mit Dachsen, allerdings nicht unter einem Dach. Die Tiere stehen auch in Italien unter Schutz und sollen schön draußen bleiben. Wie viele es sind, wissen wir nicht genau, aber fast jeden Abend können wir sie hören, wenn sie im Olivenhain Wurzeln ausgraben oder gleich neben dem Haus laut schmatzend irgendwelche Kleintiere verzehren. Dachse essen besonders gern Regenwürmer, aber auch Käfer und Mäuse (die unsere verwöhnten Katzen liegen lassen). Zur Not geht auch Gemüse. Als die Kinder klein waren, schickte ich sie mit den Obst- und Gemüseabfällen zum Komposthaufen, etwa 100 Meter vom Haus entfernt. Ich sagte nicht: „Wirf das Zeug auf den Kompost“, sondern: „Bringe es bitte dem Dachs.“ Das fanden sie gleich viel interessanter.
Heute morgen habe ich dann gesehen, dass das mit dem Dachs und dem Kompost durchaus keine Erfindung war. Denn direkt neben dem Gemüseabfallhaufen auf der Grenze zwischen Olivenhain und Wald, sah ich das hier:
Der große Baumeister hat gebuddelt. Und wie! Der Dachs gräbt sich ja nicht einfach ein Loch, sondern konstruiert komplizierte Wohnhöhlen, die aus Dutzenden von „Kammern“ bestehen können. Füchse sind als Untermieter willkommen. In Mecklenburg wurde eine weitläufige Höhle entdeckt, die sagenhafte 10.000 Jahre von Dachsen bewohnt gewesen sein soll. Forscher entnahmen das den Knochen-Funden von Beutetieren, die schon seit Urzeiten ausgestorben sind.
Was das Bauwerk auf unserem Grundstück angeht, könnte es sich um zwei neue Ausgänge jener Dachshöhle handeln, deren „Haupteingang“ ungefähr 150 Meter weiter hangaufwärts liegt. Für einen Dachs keine Entfernun, die buddeln ja locker kilometerlange Tunnel. Der neue Höhleneingang ist malerisch mit Efeu umrahmt. Schöner Wohnen bei Signore Tasso.
Einmal bin ich sogar fast mit ihm zusammen gestoßen. Es war am Hoftor. Ich kam gerade von einem Spaziergang nach Hause, als der Dachs hektisch schnaubend die Wurzeln unter dem Kirschbaum inspizierte. Als er mich bemerkte, protestierte er. Es hörte sich wirklich an wie beleidigtes Schimpfen! Erst nach einer halben Minute drehte er mir sein breites Hinterteil zu und drehte ab.
Meine Nachbarn, der Dachs, ist ein knorriger Typ.
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