Ein Feldweg führt hügelabwärts, gesäumt von mannshohen Brombeerbüschen, mehr Dornen als Früchte. Die nigerianischen Prostuierten vom Straßenstrich sind abgeholt und zum Zug gebracht worden: Ende der Schicht, morgen wieder. Hagebutten glänzen in der Abendsonne, es ist Mücken- und Fledermauszeit, und wenn der Lärm der nahen Autobahn nicht wäre, dann gäbe es hier weder Ort noch Zeit. So aber prallt, wie so oft in Italien, alles aufeinander. Die Eile und der Stillstand, die Stille und das Gedröhne der Laster, das Gestern und das Heute.
Unter der Autobahnbrücke liegen die Ruinen des Tiberhafens Seripola, angelegt im 1. Jahrhundert v. Chr. und dann über 500 Jahre im Betrieb. Der Zugang zum Gelände ist durch einen Zaun versperrt, aber man sieht auch von außen die Grundmauern von Lagerhallen und Tavernen, die Reste von Wasserleitungen und Rinnsteinen. Nach der Entdeckung bei Arbeiten für die Autobahn 1962 wurden auch eine Thermenanlage und ein Tempel ausgegraben.
Auf der anderen Tiberseite erhebt sich auf einem Tuffsteinplateau Orte, von den Etruskern gegründet, im Mittelalter wichtig, eine der vielen beeindruckend pittoresken und unerhört vernachlässigten Städte der Gegend. Heute quasi ein Vorort der 80 Kilometer entfernten Hauptstadt und mindestens so international wie Rom. Alle, die sich dort keine Wohnung leisten können, leben hier in Siedlungen zu Füßen des Centro Storico und fahren an Werktagen mit dem Zug 40 Minuten bis Roma Termini. Mit Ortes Umwandlung von einem antiken Agrarzentrum zur modernen Pendlerstadt hat sich 1974 schon Pasolini beschäftigt, hier ein Link zum RAI-Archivfilm. Ab Minute 1 geht es los, leider nur auf Italienisch und ein bisschen unscharf. Aber für einen Eindruck müsste es reichen.
Am Flussufer stehen Apecar, die kleinen Piaggio-Pritschenwagen. Jemand hat behelfsmäßige Stufen in das lehmige Ufer geschlagen, grazie. Und dann: der Tiber, gewohnt brackig-blond, auf ein Rinnsal zusammengeschrumpft wie jeden Sommer. Aber in diesem Sommer besonders. Das Licht ist schon September und wenn man sich konzentriert, riecht es fast nach Herbst.
Die Apecar gehören Anglern. Männer aus Orte am Tiber. Eine uralte Geschichte.