Alljährlich im Sommer berichten italienische Zeitungen über ein wiederkehrendes, grauenhaftes Ereignis: Rudel verwilderter Hunde greifen Menschen an, verletzen sie schwer, töten sie manchmal sogar. Zuletzt geschehen in Satriano, unweit der jonischen Küste in Kalabrien, wo etwa 15 Hunde in einem Waldstück ein junges Paar attackierte. Der Mann konnte sich retten und einen Hilferuf absetzen. Die 20-Jährige Frau wurde von den Tieren gebissen und verblutete.

Sie ist schon das dritte (bekannte) Hunde-Opfer in diesem Jahr. Im Frühling wurde ein 80-Jähriger bei Neapel beim Wildspargel-Suchen von einem Rudel „Wildhunde“ angegriffen und getötet. In Ligurien starb ein dreijähriges Kind an den Bissen von Pitbulls – keine Streuner, sondern im Besitz der Nachbarn. Pitbulls und andere Kampfhunde dürfen in Italien von allen gehalten werden, nachdem ein 2006 erlassenes Gesetz, das die Zucht besonders aggressiver Hunderassen limitieren sollte, schon 2009 wieder abgeschafft wurde. Mit der Begründung, es sei wissenschaftlich nicht erwiesen, dass manche Rassen aggressiver seien als andere. Gesetzlich verboten ist es seither lediglich, Hunde mit dem Ziel zu züchten, sie aggressiver zu machen.
Ein Gummiparagraph, denn in gewissen Kreisen gehört es zum guten Ton, sich mit hündischen Kampfmaschinen zu umgeben. Und natürlich auch, die Leinenpflicht zu ignorieren, womit die Machos der Mafia allerdings in allerbester Gesellschaft sind. In unserem Dorf legt kein Mensch seinen Hund zum Gassigehen an die Leine, tierische Hinterlassenschaften werden nicht aufgehoben und verpackt, wir leben ja schließlich nicht in der Stadt.
Manche verstehen unter „Auslauf“, dass sie einfach das Hoftor öffnen, damit ihre Tiere sich ein wenig in der Dorfgemeinschaft umschauen können. Andere legen ihre Hunde an die Kette, obwohl das bei Strafe verboten ist. Nachts kläffen diese armen Viecher, die mutterseelenallein Gemüsegärten oder Geräteschuppen „bewachen“ sollen, verzweifelt im Chor mit den sogenannten „Trüffelhunden.“ Letztere warten in dunklen Verschlägen darauf, dass ihr Besitzer sie zum Edelpilz-Erschnüffeln ausführt. Oder zur Singvogeljagd, Eröffnungsschießen am 1. September. Die Jagdsaison ist nach der Ferienzeit in Sommer übrigens der Zeitraum, in dem die meisten Hunde ausgesetzt werden. Jagdhunde, die nicht jagen können, sich also als untauglich erweisen, werden wie Ballast abgeworfen. Wir reden hier von Umbrien, also jenem Teil des Landes, der allgemein als civilizzato gilt.
Das Hundeleben in Italien ist weitgehend wirklich ein Hundeleben. Die Zahl der Streuner ist vor allem im Süden des Landes Legion, obwohl das Aussetzen von Haustieren mit Haft bis zu einem Jahr und Geldstrafe bis zu 10.000 Euro geahndet wird. Das Problem ist nur, dass kaum jemand erwischt wird, und so werden ganze Würfe mit acht bis zehn Welpen einfach am Straßenrand „entsorgt.“ Das nächste Problem: Kommunen und Amtstierärzte, die vom Gesetzgeber für die Erfassung und Sterilisierung von Streunern verantwortlich gemacht werden, sind mit der Aufgabe vollkommen überfordert.
Um Italiens Straßenhunde kümmern sich Dutzende von Tierschutz-Organisationen. Das Netz quillt über von Fotos süßer Welpen, die Adoption im Norden suchen. Südlich von Rom werden grundsätzlich keine Tiere vermittelt, dafür landen gar nicht wenige in Deutschland.
Aber allzu viele bleiben hinter Gittern oder gleich auf der Straße. Letzteres sollte man wissen, bevor man zu einsamen Spaziergängen auf menschenleeren, sizilianischen Stränden, zum Wandern durch die Abruzzen oder die wunderbaren kalabrischen Wälder aufbricht. Es ist tatsächlich nicht ungefährlich.
Cave canem. Verantwortlich dafür natürlich: Der Mensch.