Casa Balla

Seitdem Putins Soldaten die Ukraine zerstören, müssen sich im Westen auch russische Künstler für ihre Haltung gegenüber dem Regime rechtfertigen. Kunst in Diensten der Tyrannei, das ist ein ewiges Paradox, leider aber auch 2022 noch ein Thema in Europa. Außer in Italien, wo die Verbandelung von Künstlern mit dem Faschismus allerhöchstens akademischen Debattenstoff darstellen, während in den Schulen weiterhin der schwülstige Schmonzes des strammen Faschisten Gabriele D’Annunzio als nationales Kulturgut unterrichtet wird. Das kulinarische Fachblatt La Cucina Italiana feierte kürzlich sogar die Rezepte des „großen Dandy-Dichters“, selbstredend ohne seine appetithemmenden politisch-militärischen Abenteuer auch nur zu erwähnen. Im Gegensatz zu D’Annunzio, der nach der Friedenskonferenz von Wien im September 1919 mit einigen Freischärlern die Stadt Rijeka (heute Kroatien) überfiel und bis Dezember 1920 besetzt hielt, hat sich der Maler Giacomo Balla nicht als Frontkämpfer für den Faschismus hervorgetan. Er begnügte sich mit Propaganda wie mit dem Auftragswerk zum „Marsch auf Rom.“

Solch‘ figürliche Darstellung (der Parteibonzen) ist eine Ausnahme in seinem Werk, denn Balla war Erfinder und Motor der futuristischen Bewegung.

Dass viele Italiener den Futurismus nicht mehr automatisch mit dem Faschismus verbinden, liegt auch an Balla. Seine Kunst erscheint heute als derart modern, dass man dazu neigt, sie aus dem Kontext ihrer Entstehungszeit herauszulösen. Diese Farben! Dieses, ja, zeitlose Design, die abstrakt-geometrischen Formen. Das alles hat zu einer Balla-Renaissance geführt, eingeleitet und befeuert durch die römische Modeschöpferin Laura Biagiotti, die vor einigen Jahren ihre Balla-Sammlung öffentlich im Museum des Augustus-Friedensaltars (!) zeigte und mehr als eine Mode-Kollektion auf den Laufsteg brachte, die anmutete wie von Balla entworfen.

Biagiotti war rechtsextremer Neigungen unverdächtig. Es stimmt ja auch, Balla (1871-1958) war in gewisser Weise der Begründer des italienischen Designs. Er selbst kreierte seine Marke, zeichnete alles mit „FuturBalla.“ Und er war universell unterwegs: Tapeten und Möbel, Teppiche und Kleidung, Kissen, Hüte, Geschirr. Überall finden sich ähnliche Formen und Farben wie auf seinen futuristischen Bildern. Ballas Leben war komplett durchdesignt, und nicht nur seines, sondern auch das seiner beiden Töchter Luce, das heißt Licht, und Elica. Das heißt Propeller. Wer sein Kind so nennt, der kennt keine Grenzen und auch keine Skrupel, der sieht sich selbst als Schöpfergott im eigenen, künstlerischen Parallel-Universum.

Balla gestaltete das Leben seiner Töchter wie ihre Kinderzimmer, in denen sie zeitlebens wohnten. Man weiß nicht, was verstörender ist – seine Liebesdienste für den Duce oder die Tatsache, dass Luce und Elica wie Designgegenstände stets an der Seite des Vaters blieben und auf ein eigenes, unabhängiges Leben verzichteten. Bis zu ihrem Tod (Elica 1993, Luce 1994) wohnten sie in der väterlichen Wohnung in der Via Oslavia 39b im römischen Stadtteil Prati. Heute ist „Casa Balla“ Roms neuestes Museum, betreut vom MAXXI, dem Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst. Eigentlich sollte es im vergangenen Jahr nur ein paar Monate geöffnet bleiben, doch es gab Verlängerung bis Ende 2022. Ein open end ist wahrscheinlich – was sollen die Erben sonst tun mit einer unverkäuflichen Wohnung in Bestlage?
Casa Balla ist verstörend. Man wandert durch die von oben bis unten ausgepinselten Räume, bewundert die Kunstfertigkeit, findet es aber auch komplett irre. Wollt ihr das totale Design? Bitteschön, so schaut es aus, es gibt kein Entrinnen, nirgends, weder auf dem Klo noch auf der (für Besucherinnen unzugänglichen) Terrasse:
Die Küche sieht auf den ersten Blick ganz einladend aus. Aber auf den zweiten sieht man: Tischdecke Balla, Teller Balla, Krüge Balla, Tisch und Stühle Balla. Ballaballa! Weiter geht’s ins Badezimmer.

Im Flur, am von Papa Balla gestalteten Garderobenhaken, hängt noch das Gewand einer der Töchter. Würde ich ja sofort anziehen, Lila ist meine Lieblingsfarbe. Bedeutet andererseits, dass es auch außerhalb der vier Mauern keinen wirklich Balla-freien Raum gab. Wenn sie mal ausgingen, dann in den Kleidern des Alten, plus Hut.

Im Wohnzimmer (der Fußboden, das Sofa!) sind einige Werke ausgestellt.

Und dann gibt es noch die „Arbeitskammer“, ein knallbuntes Kabuff.
Dass Balla Faschist war, darauf wird nirgends hingewiesen. Die großen Propagandawerke hängen sowieso im Museum, viele in der GNAM (Nationalgalerie für moderne Kunst). Wer es im Hinterkopf hat, und das sind vermutlich längst nicht alle Besucher, der gewinnt in der Casa Balla die Erkenntnis, dass der Regime-Künstler sich in seiner eigenen Welt verschanzt hat, die noch unerbittlicher abgeschlossen war als jene da draußen.

Wenn auch in freundlich leuchtenden Farben.

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