Von wegen Documenta!

Aus aktuellem Anlass geht es in der Fußballoper – um die Oper. Nicht einfach um irgendeine, sondern um die deutsche Nationaloper. Jaaa, liebe Kinderinnen und Kinder, sowas gibt es wirklich noch im Jahre des Herrn 2022, und wie der Name schon besagt, katapultiert sie die Spitzen und Häkeleien der Gesellschaft, die diese Nationaloper mit der gebotenen Inbrunst betreten, zurück ins allertiefste 19. Jahrhundert. Über Stunden hört man Gekitsch, Gedröhn und Gebumm, gibt sich eklektischen Erzählungen über nordische Fabelwesen hin (Walküren, Gralsritter, Nibelungen), das alles auf Holzstühlen und ohne Klimaanlage, wie es sich für eine Weihestätte gehört.

Ja, Bayreuth.

Auch diesen Sommer wieder. Auch diesen Sommer!

Die Feuilletons laufen über von Documenta-Debatten, Rücktrittsforderungen, Rücktritten, wieder neuen Skandalen. Es geht um Antisemitismus, der aus dem globalen Süden nach Kassel importiert wurde, als ob es bei uns nicht genug heimischen gäbe, den deutschen Null-Kilometer-Judenhass halt, umsonst und draußen, aber natürlich auch drinnen. Wächst immer weiter nach, bei Dürre und bei Starkregen.

Und während sich also alle über die Documenta empören und en passant auch die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth attackieren, weil die ihnen aus ganz anderen Gründen sowieso nicht passt, erscheint die Ministerin zur Eröffnung der Festspiele in Bayreuth.

Als Punk.

Quatsch, Entschuldigung, das war einmal, in früheren, sehr viel besseren Zeiten. Nein, Madame Roth kommt heuer als Silber-Walküre.

Also als eine von vielen, wobei die Verkleidung der deutschen Gesellschaftsdamen, Ex-Kanzlerin eingeschlossen, in grellen Schützenfest-Kostümen vermutlich Teil des Programms ist. Bayreuth halt, ein Gesamtkunstwerk des 19. Jahrhunderts, als die deutsche Frau auch nicht chic sein durfte, weil sie ja sonst französisch ausgesehen hätte. Gott bewahre!

Wie kann es sein, dass der Höhepunkt des deutschen Kultursommers immer noch die Beweihräucherung des knallharten Antisemiten Richard Wagner ist? Und jetzt erzählt mir bitte nichts von der Trennung zwischen Künstler und Werk. Da halte ich es mit dem Verfemten Woody Allen: „Wenn ich Wagner höre, kriege ich eine unbändige Lust, in Polen einzumarschieren.“ (Was übrigens nicht daran liegt, dass mir ein deutscher Zahnarzt in Rom vor vielen Jahren mal zu einer Wurzelbehandlung den Walkürenritt aufgedreht hat. Wagner-Festspiele im Behandlungszimmer, Wotan Wahnwitz!)

Jede einzelne Note ist entweder martialisch oder weinerlich oder beides zusammen. Könnte man diese Cancel Culture, über die alle schimpfen oder jammern oder beides zusammen, nicht endlich mal auf diese reaktionäre Veranstaltung anwenden? Einfach die Holzhütte auf dem Hügel zu jenem Museum erklären, das sie eigentlich längst ist, meinetwegen mit Onkel Ritchies Gassenhauern als Hintergrundmusik? Um der Welt zu zeigen: Das, liebe Leute, war das deutsche 19. Jahrhundert, aber jetzt ist das ja zum Glück schon seit einer ganzen Weile vorbei.

Heute sind wir Europäer, Weltbürgerinnen, Gastgeber einer internationalen Kunstausstellung, in der Künstlerinnen von überallher ihren Blick auf die Zeitläufte zeigen. Antisemiten, Rassisten, Hetzer, bekommen in unserem Kulturbetrieb selbstverständlich keine Bühne, denn solcher Stumpfsinn hat ja mit Kunst rein gar nichts zu tun.

Es wäre so einfach.

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7 Gedanken zu “Von wegen Documenta!

  1. Sehr schön, Dich so gut gelaunt zu sehen, Birgit. Spätestens bei „Jaaa, liebe Kinderinnen und Kinder, sowas gibt es wirklich noch im Jahre des Herrn 2022 …“ hat sich das auf mich übertragen und ich lief trotz des ernsten Hintergrunds mit einem breiten Grinsen durch den Tag. Allein: Auch wenn mir Verdi & Puccini oder auch der italienische Mozart im Tandem mit Da Ponte eher am Herzen liegen, so muss ich doch – horribile dictu – einräumen, dass mich die Wagneropern schon immer begeistert haben. Ich bekenne mich der emotionalen Trennung zwischen Künstler und Werk schuldig, obgleich ich mir bewusst bin, dass die Woody-Allen-Haltung angemessener wäre.

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  2. Grazie, lieber Jochen! Du ein Wagnerianer! Aber das ist doch wunderbar, das Musikhören und die Begeisterung. Wie kann man etwas dagegen haben? Nur dieses Staatsopern-Spektakel auf dem Hügel, das gehört halt in die Mottenkiste, weil da das Alt-Teutsche schon sehr mitwabert. Zu schweigen von dem Familienunternehmen mit diesen ganzen Ahnen, die mit Hitlers Schäferhunden gespielt haben. Eine gute Freundin von mit hört Wagner immer beim Bügeln. Auch sehr verständlich.

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    • Darauf können wir uns gerne einigen, Birgit, habe nicht vor, irgendwann einmal nach Bayreuth zu gehen. Es gibt übrigens auch in Island eine Richard-Wagner-Gesellschaft, was zumindest wegen der Nähe bspw. des Rings zur nordisch-altisländischen Mythologie nicht komplett abwegig ist.

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    • Du bist herzlich eingeladen zu kommen! Wir können momentan sogar einen aktiven Vulkanausbruch in Fußnähe bieten. Die Fülle möglicher Metaphern für die politische Berichterstattung über Deutschland und Italien dürfte schier endlos sein!

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