Personalmangel

Italien steht kurz vor der Machtergreifung einer schamlos neofaschistischen Rechten, die Landwirtschaft kollabiert nach dem heißesten Sommer seit Menschengedenken und wo es regnet, da lösen sich ganze Hügel in Schlamm auf. Die Medien widmen sich – Personalfragen. Wer kandidiert wo für wen? Begeistert wird in Deutschland die Nachricht aufgesogen, die 95-Jährige Ex-Schauspielerin Gina Lollobrigida (letzter Film: 1995, immerhin von Agnès Varda) kandidiere für eine linke Splitterpartei, „weil ich den Dauerstreit in der Politik Leid bin.“

Ihre Partei – Moment, muss erst googeln und sehe, es ist gar eine Partei, sondern ein Wahlbündnis mit dem blumigen Namen „Italia sovrana e popolare“ – also dieses Bündnis hofft, mit der Lollo einen Sitz im Parlament zu ergattern. Hauptsache, prominent, wenn auch nur bei den über 80-Jährigen. Aber davon wählen ja sehr viele. Und die nehmen es auch nicht so genau, wenn Lollobrigida sagt, Mahatma Gandhi sei ihr großes Vorbild und überhaupt sei sie mit Indira Gandhi gut bekannt gewesen – als wenn diese beiden Gandhis miteinander verwandt gewesen wären. Egal. Die Lollo zieht, und man muss sie dafür noch nicht mal in den Wahlkampf schicken. Kann man übrigens auch nicht. Sie ist nicht so fit wie Berlusconi, der ja auch neun Jahre jünger ist, erst knusprige 86.

Als dieses Foto aufgenommen wurde, ging Gina mit Indira aus. Beide in schwarzweiß

Dennoch ist der Fall Lollobrigida nicht einfach nur grotesk. Sondern symptomatisch für die grassierende Personalnot vieler Parteien.

Am schlimmsten dürfte es Fratelli d’Italia treffen, den Verein von Giorgia Meloni. Bei den letzten Wahlen 2018 holte sie mit 4,35 Prozent der Wählerstimmen 19 Plätze in der Abgeordnetenkammer und 7 im Senat. Inzwischen sind es dank einiger Überläuferinnen ein paar mehr (die 5 Sterne-Fraktionen haben sich derweil halbiert, so irre ist die italienische Politik und so egal ist ihr der Wille der Wählerinnen und Wähler).

Wenn Melonis „Brüder“ am 25. September tatsächlich stärkste politische Kraft werden, haben sie ein Problem. Genau genommen haben sie es jetzt schon. Denn hinter Meloni klafft die große Leere. Ihr Verein spielt eigentlich in der Regionalliga von Latium, in anderen italienischen Landstrichen ist er faktisch nicht präsent. Fratelli d’Italia leidet am Personalmangel wie die Deutsche Bahn oder die römischen Krankenhäuser.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Nun, viele werden jetzt auf den fahrenden Zug aufspringen und ganz schnell im Fratelli d’Italia-Bahnhof einfahren. Außerdem ist Meloni, genau wie Gina Lollobrigida, in einem Wahlbündnis. Ihren Kumpanen Berlusconi und Salvini hat sie schon angekündigt, dass sie den Posten als Regierungschefin beansprucht, falls ihre Partei die meisten Stimmen holen sollte. Im Gegenzug können die beiden Partnerparteien dann wahrscheinlich bei Parlamentssitzen und Ministerposten viel herausholen, weil Meloni dafür sowieso nicht genügend Leute hat.

Im Grunde ist Fratelli d’Italia eine One-Woman-Show, genau wie Forza Italia oder die Fünf Sterne. Meloni, Berlusconi, Grillo, darauf sind diese Wahlvereine zugeschnitten. Forza Italia hat sich bis auf Restbestände aufgelöst, als der Patriarch auf Weisung seiner Kinder nicht nur nicht mehr zahlen wollte, sondern ernsthaft einen Obolus an die Partei verlangte. Die Fünf Sterne sind verglüht, weil Grillo alle vom Hof jagte, deren Nase ihm nicht passte, selbst aber immer noch den Daumen auf der eingetragenen Marke hält – sie gehört ihm nun mal, laut Handelsregister. (Wem gehören in Deutschland eigentlich die Buchstaben F.D.P., nur mal so als Frage?)

Ein Glück, dass das Parlament jetzt verkleinert werden soll, das kommt der Rechten sehr entgegen. Dem Partito Democratico sehr viel weniger. Die linke Mitte hat Personal in Hülle und Fülle, Männer und Frauen mit Erfahrung, manche sogar mit erwiesener Kompetenz. Aber damit gewinnt man in Italien keine Wahlen.

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