Für die ZEIT bin ich nach Mestre gefahren (hier mit Bezahlschranke), dabei sollte ich eigentlich über Venedig schreiben. Mestre fand ich interessanter, war vorher noch nie da und hatte Lust, etwas neues zu entdecken und zu erzählen. Zum Glück konnte ich die Kolleginnen in Hamburg überzeugen, statt der hundertfünfzigsten Venedig-Geschichte die erste über Mestre zu schreiben. Und erlebte eine Stadt, die zwar eigentlich gemeinsam mit Marghera und Porto Marghera verwaltungstechnisch zu Venedig gehört, aber durchaus eine eigene Identität besitzt – inklusive einer Altstadt, obwohl ich am Bahnhof Mestre zunächst auf Venedig verwiesen wurde, als ich nach dem Weg ins Centro Storico fragte. Weil Ausländer entweder in Mestre arbeiten oder als Touristen nur dort preiswerter übernachten wollen. Mestre ist nämlich die Schlafstadt für alle, die sich das irre teure Venedig nicht leisten können oder wollen. Man ist ja sowieso in zehn Minuten mit dem Zug am Canal Grande oder, wie ich, in 15 Minuten mit der superschnellen, superschicken roten Luxus-Tram, die aus Mestres Altstadt über die Lagune nach Venedig saust. Für einen Fahrpreis von 1,50 Euro.

Mestre ist eine beruhigend normale, angenehm bunte Provinzstadt mit ziemlich viel Eigenleben. Schließlich leben hier sehr viele Venezianer. Venedig schrumpft, Mestre wächst. Nicht nur die Touristen pendeln, auch die Einheimischen. Manche sind traurig darüber, aus Venedig aufs Festland gezogen zu sein, die meisten sind es nicht (jedenfalls bei meinen bescheidenen, unwissenschaftlichen und spontanen Umfragen). In Mestre zu leben, ist nicht nur billiger, es ist auch einfacher. Es gibt normale Straßen, normale Läden, es gibt Fahrradwege. Drei Kinos allein in der Altstadt, darunter dieses an der Via Dante:


Rund um die Markthalle locken Frittierbuden und Restaurants. Mein Favorit: All’Ombra del Gabbiano, ein kleines, sehr feines Lokal mit frischester Fischküche, schwarzen Tintenfischravioli und einer fantastisch knusprigen Frittura. Hat keine Webseite, dafür eine schöne Terrasse und sehr vernünftige Preise.
In Mestre steht auch das M9, Italiens Museum für das 20. Jahrhundert. Ein Riesending, bestehend aus einem alten Kloster und den schönen Mosaik-Fassaden der Berliner Architekten Sauerbruch Hutton. Absolut sehenswert, wenn man sich für Italien und seine großen Umbrüche interessiert, die Wandlung vom Auswanderer- zum Einwandererland, die Emanzipation von der katholischen Kirche, aber auch die Erfolgsgeschichte der Cucina Italiana, des Kinos und der Musik.

Alles weitere steht im ZEIT-Artikel, wo es auch die wunderbaren Fotos des italienischen Fotografen Mirko Cecchi gibt. Ich fand die Kombination aus neuem und alten Venedig, also Mestre und Canal-Grande-Show ganz fantastisch. Man sieht und lernt so viel mehr.