Roma capoccia

Es ist heiß. Und es ist leer. Am frühen Morgen ist es noch nicht so heiß, aber dafür noch leerer, also die beste Zeit zum draußen sein. Heute mal zu Fuß, das Fahrrad ist im Hof angeschlossen, aber der Sohnemann hat den Schlüssel verklüngelt. Zum Rad und zu den zwei Türen davor. Zahnarzttermin mit Nervtötung erst um 11 Uhr, also ist man um halb sieben strahlender Laune.

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Ist ja auch schön, oder? Mit dem Rad wäre es schöner, schon wegen der leichten Brise. Aber auf dem Rad sieht man nicht so viel wie zu Fuß. Zum Beispiel diesen Blumenkübel vor dem Kolosseum:

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Okay, der Zoom ist ein bisschen ungerecht. Schließlich stehen hier gleich drei von diesen Dingern, sorgsam aufgereiht.

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Die E- Roller gehören mittlerweile auch zum Stadtbild. Man muss verdammt aufpassen,  nicht umgefahren zu werden, vor allem aber, nicht über die Dinger zu stolpern. Immerhin ist das aber viel einfacher zu Fuß. Denn mit dem Rad hätte ich hier tatsächlich ein klitzekleines Problem:

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Soviel zu Rom als neuer Radlerhauptstadt. In Wirklichkeit entwickelt sich die Stadt gerade zur neuen Metropole der Monopattini – klingt das nicht viel netter als E-Roller? Ach so, hier auf dem Weg vom Kolosseum zum Circus Maximus. Da soll demnächst auch die U-Bahn direkt verkehren. Also irgendwann demnächst.

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Ich bin immerhin schon so lange in town, dass ich mich noch an eine Zeit ohne diese Baustelle erinnere. Allerdings war das Kolosseum da auch noch altersschwarz. Man konnte damals einfach so das Augustus-Forum sehen. Das waren Zeiten! Heute geht das nicht mehr, höchstens sehr früh morgens, wenn man die Absperrungen ignoriert.

Vorhang auf:

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Was das soll? Nun, ein gewisser Alberto Angela, TV-Moderator einer Wissenschaftsshow, hat sich an den interessantesten Ausgrabungsplätzen Italiens die Rechte für seine Multimedial-Märchenstunde vor zahlendem Publikum gesichert. Der Mann ist der unumstrittene Boss der Geschichts-Verkitschung, übrigens schon in zweiter Generation, denn vor ihm hatte sein Vater Piero das übernommen. Das derlei Monopole erstens überhaupt bestehen und zweitens auch noch vererbt werden, wäre anderswo undenkbar. Hier aber versperrt die absurde Tribüne für die abendliche Lightshow nicht nur monatelang den Blick auf das Forum, sie verschandelt auch eine einmalige Stadtlandschaft. Und das, obwohl sie auch abends leer bleibt!

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Wobei….Stadtlandschaft? Mitten in Rom kann man sich neuerdings sein Mittagessen zusammensammeln. Rucola sprießt direkt am Kolosseum. Die lichtblau blühende Cicoria – also die deutsche Wegwarte – ein in der römischen (Restaurant)-Küche sehr beliebtes Gemüse, hat sich neuen Lebensraum an der Forenstraße erobert. Früher hatten wir mal StadtgärtnerInnen. Jetzt haben wir die Fünf Sterne im Rathaus. Und das Kraut sprießt überall, wie es will. Genau wie der Müll.

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Wenn die Stadt so leer ist, könnte man sie doch glatt mal aufräumen. Für uns RömerInnen, damit wir es in diesen harten Zeiten ein bisschen netter haben.

Welch ein naiver Gedanke auf einem Morgenspaziergang durch die schönste Stadt der Welt. Was ich übrigens nicht fotografiert habe: Die Hundescheißepäckchen auf den Fensterbänken verschlossener Hotels. Die überall achtlos hingeworfenen Atemschutzmasken. Die Matratze auf dem Bürgersteig unweit von Neros Goldenem Haus, Nachtlager für arme Menschen.

Und jetzt ab zum Zahnarzt.

 

 

Die Coop bist du

Aus dem alltäglichen deutschen Fleischporno ist ein Fleischhorror geworden, so weit sind diese beide Genres eigentlich nicht voneinander entfernt. Zu dem sauberen Herrn Tönnies und Konsorten ist schon alles gesagt und wer, wie ich, aus seiner Wurstekessel-Gegend kommt und mit Hausschlachtung bei Omma im Keller aufgewachsen ist (zum Glück haben unsere Eltern uns da rausgeholt, als ich sechs war), der wundert sich auch nicht darüber, dass westfälische LokalpolitikerInnen und StaatsanwältInnen groß im Wegschauen sind. Die LokalpressInnen sowieso.

Nur soviel: Es stimmt nicht, dass erst das Fressen kommt und dann die Moral. Weiß ich als Kind einer working-poor-Familie, die bei Aldi grundsätzlich nur die Grundnahrungsmittel kaufte. Gemüse und Eier kamen vom Gemüsebauern, das holten wir mit dem Rad an den Abenden vor den Markttagen ab. Brot kam vom Bäcker, Milch und Sahne kamen vom Milchwagen. Und Fleisch und Aufschnitt kamen vom Metzger, der damals wie heute noch eigene Schweine hat.  Meinen Eltern hat das Supermarktzeug schlicht nicht geschmeckt. Es wurde immer viel für’s Essen ausgegeben und wenig für den Rest. Insofern war Tönnies immer eine andere Welt, ganz abgesehen davon, dass zu seiner auch noch Schalke gehört.

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Natürlich gibt es solche Feudalherren auch in Italien, aber die beuten eher LandarbeiterInnen aus, Großmetzger sind hier kleiner. Nicht von ungefähr wurde Slow Food in Italien erfunden, nicht ohne Grund ist Italien der größte Erzeuger von Bioprodukten. Die Leute haben nicht nur mehr Bewusstsein für das Essen, sie haben auch mehr Empathie für diejenigen, die es ihnen auf den Tisch bringen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Italien bis vor wenigen Jahrzehnten ein Agrarland war. Die allermeisten hier haben Eltern oder zumindest Großeltern, die selbst einen kleinen Olivenhain bewirtschafteten oder einen Gemüsegarten mit Hühnerstall.

Und dann gibt es die Coop. Seit Jahrzehnten sind wir Mitglieder. Die Coop war mal rot, das ist vorbei, sie war tief in Schmiergeldaffären verstrickt, das ist hoffentlich auch vorbei. Heute im Angebot: Bioprodukte, klar. Antimafia-Produkte ebenfalls. Und Antiausbeutungs-Protokolle in der Landwirtschaft und Fischindustrie. Kein Palmöl in allen Eigenprodukten. Plastik weitgehend abgeschafft. Preisblockade während der Corona-Krise. Die Coop gibt auch Kredite, gegen den Zinswucher. Tiertransporte eingeschränkt, Fleisch-Herkunft nachvollziehbar. Überhaupt ist die Herkunft aller Lebensmittel anzugeben – in Deutschland weiß man ja noch nicht mal, woher die Nüsse für den Kuchen kommen.

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Das sollte jetzt keine Schleichwerbung für die Coop sein, die mich nachweislich nicht bezahlt, es läuft umgekehrt. Nur der Hinweis, dass es halt immer an den KundInnen liegt. Also an uns. Immer. Ausgenommen sind diejenigen, die sich wirklich nicht leisten können, auf etwas anderes zu schauen als auf den Preis der Waren und ihrer eigenen Arbeit. Diese Menschen müsste man besonders schützen. Dass man sie stattdessen zynisch missachtet,  ist der eigentliche Skandal bei Tönnies.

Für alle, die Italienisch können, hier noch ein echter Leckerbissen: Anfang der 1990er Jahre hat Woody Allen Spots für die italienische Coop gedreht. Hier sieht man alle in einem Video. Eloquentes Kalbfleisch, Außerirdische und der Traum vom Schinkenbrot, die Erotik von Äpfeln und ein Brautpaar in der Gemüseabteilung. Es war die Erfindung des Slogans „Die Coop bist du.“

Es soll Menschen geben, die Woody Allen boykottieren, wegen der Anschuldigungen seiner Ex-Frau. Ich beschränke mich auf den Boykott der Schweineindustrie, das aber im Allgemeinen und Besonderen.

 

 

 

La Fontana

226,5 Kilo Verpackungsmüll verursacht jeder Mensch jährlich in Deutschland, auf private Verbraucher entfallen 107 Kilo. Einfach nur irre! Und wenn man dann liest, dass der Plastikmüll nur zur Hälfte recycelt wird, rauft man sich die Haare. In Italien sind es 70 Prozent, immer noch zu wenig, aber ein deutlicher Hinweis darauf, dass es nicht an der Technologie liegt, wenn deutscher Müll keine Wiederverwertung findet. Man fragt sich, beispielsweise, wieso Plastiktüten erst jetzt verboten werden. In Italien gibt es schon seit 2011 keine mehr! Von wegen Klassenbeste im Umweltschutz. Wir Deutsche sind allerhöchstens Nummer eins im Fach Heuchelei und Verdrängung.

Dabei könnten wir zum Beispiel von den Italien lernen, dem Land, wo die Hochgeschwindigkeitszüge pünktlich fahren. In Rom kriegt man für Plastikflaschen an einigen Recyclingbehältern Bonuspunkte für die Öffentlichen. Also U-Bahn-Tickets für Plastikmüll. Resultat: In elf Wochen Projekt sind 750.000 Pet-Flaschen recycelt worden. Okay, das Pfandprinzip ist noch besser. Aber es müssen ja keine Flaschen sein… wie wäre es zum Beispiel mit Konservendosen?

Ebenfalls kopierwürdig: Der Trinkbrunnen, wie er mittlerweile in vielen italienischen Dörfern und auch in einigen (noch zu wenigen) römischen Stadtteilen steht.

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Ausgegeben wird aufbereitetes Trinkwasser mit und ohne Kohlensäure (ohne kann man es logischerweise auch einfach aus dem Kran nehmen). Anderthalb Liter kosten fünf Cent. Einen Flaschenkorb mit sechs 1,5-Liter-Glasflaschen kann man im Laden nebenan kaufen. Sicher, auch Kohlensäure für zu Hause ist mittlerweile zu haben. Aber sich am Brunnen zu treffen, wie in alten Zeiten, ist doch viel schöner.

 

 

Gelateria Hill

Das 3000 Jahre alte umbrische Landstädtchen Amelia hat Attraktionen zu bieten, vor denen man als Angehörige eines soeben in die Welt gepurzelten Barbarenstamms vor Erfurcht erzittern könnte. Stadtmauern, die älter sind als die von Rom zum Beispiel. Oder die einzige Kolossalstatue des Feldherrn Germanicus. Oder auch, viel banaler, den Biobauernmarkt in einem freskengeschmückten Kreuzgang.

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Aber beim letzten Markttag wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich keinesfalls die neue, ganz große Sehenswürdigkeit in town verpassen dürfe. Nämlich die Eisdiele von Terrence Hill, gleich um die Ecke, Via della Repubblica 52.

Wer Terrence Hill ist, weiß ich so ungefähr. Aber wirklich nur ziemlich vage und aus dem Internet, denn ich gehöre zu den 0,2 Prozent Deutscher meiner Generation, die noch nie einen dieser Fäuste-Filme gesehen haben. Zu blöd und zu reaktionär, befand mein Vater und verbot es uns. Genauso wie: Sissy-Filme, Bravo, Bild-Zeitung, Comics, Walt-Disney, Nestlé, Coca Cola, Deutsche und Dresdner Bank, Apartheid-Obst aus Südafrika, Wehrdienst (meinen Brüdern) und Pelz (meiner Mutter). Mein Vater, der selbst von höherer Schulbildung nur hatte träumen dürfen, war von einem derartigen Bildungshunger für seine Familie getrieben, dass wir kein einziges Mal Strandurlaub gemacht haben („verblödet nur“), dafür aber jede Menge Gewalttouren durch das Gelände nebst wildem Zelten und von ihm ausgetüftelten Botanikprüfungen. Dazu Ostermärsche und Friedensdemos, denn er war immer schon politisch links und hatte als einziger in unserem Dorf weder ein Auto noch die Mitgliedschaft im Schützenverein.

Terrence Hill hatte in seiner Welt keinen Platz. Stattdessen quälte sich mein Vater durch Fassbinders Berlin Alexanderplatz, das ich mit 14 mitschauen durfte und fürchterlich langweilig fand. Zumal ich mit keinem in meiner Klasse darüber reden konnte. In aller Unschuld erzog mich mein Vater, dieser Freak, zu einem asozialen Snob.

Und jetzt läuft mir auf dem Markt von Amelia Terrence Hill über den Weg. Nicht in persona natürlich. Er heißt ja eigentlich Mario Girotti und die Girottis sind alteingesessene Handwerker und Zuckerfeigen-Fabrikanten. Die Eisdiele, wird mir erzählt, habe es früher schon einmal gegeben. Der Terrence habe sie nur wieder eröffnet. Schauen wir mal.

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So sieht es von außen aus. Drinnen hängen Schwarzweißbilder von den alten Filmen, das Eis aber ist sehr bunt. Zu bunt für meinen Geschmack.

Das war’s dann wohl schon wieder mit mir und Terrence Hill. Frühkindliche Prägung halt. Geblieben ist die grenzenlose Ahnungslosigkeit gegenüber bestimmten Artikeln des Massengeschmacks. Letztes Jahr war ich in Venedig eingeladen, im deutschen Studienzentrum, das in einem wunderbaren Palazzo am Canal Grande untergebracht ist. Der Direktor führte mich auf die Terrasse mit fantastischem Ausblick über den Kanal und wies auf einen Balkon am Nachbarhaus. „Dort sehen Sie“, rief er stolz, „die Dachterrasse der Brunettis.“ Ich muss unglaublich blöd geschaut haben, während ich verzweifelt mein Gedächtnis durchkramte. Brunetti, welcher Brunetti? Politiker? Industriekapitän? Künstler? Dirigent?

„Der Kommissar aus den Donna-Leon-Filmen“, half mir freundlich der Direktor.

Donna Leon, was es alles gibt. Erleichtert nickte ich: „Wie interessant!“

Das Meer im Winter

Der Februar ist ein schöner Monat, um das Meer in Italien so zu erleben, wie das Reisende vergangener Zeiten taten: Draufschauen und entlanglaufen, anstatt reinzuspringen. Das Wetter ist irgendwo zwischen Winter und Frühling und es kann geschehen, dass man innerhalb von wenigen Tagen an zwei verschiedenen Stränden beides erlebt.

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So erwartet einen das Meer in der Toscana, kurz vor der Halbinsel Monte Argentario (im Hintergrund links sieht man auch noch die Insel Giglio). Das Licht ist noch ein wenig kalt, aber südlich bleibt es doch.

 

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Und das Wasser ist so klar, wie man es aus dem Sommer kennt. Das hier ist mein Badestrand, eine zehn Kilometer lange Sandstrecke, zur Landseite hin abgegrenzt von einem Dünenschutzgebiet des WWF. Auch im Hochsommer kann man hier seine Ruhe haben, aber heute ist wirklich niemand unterwegs.

 

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Alles meins! Die Winterstürme haben Holz, Plastikflaschen und viele Muschelgehäuse angespült, ich finde sogar einen kleinen Thunfisch.

 

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Und die Strandbar ist natürlich geschlossen. Vor Ostern tut sich hier nichts außer den alljährlichen Reparaturarbeiten.

Soviel zum Tyrrhenischen Meer am letzten, also südlichsten Strand der Toscana. Verwunschen, verlassen, wild und sonnig. Und nun kommt das ganze Gegenteil: Die Adria in Cesenatico, gute 400 Kilometer entfernt, auf der anderen Seite der italienischen Halbinsel. Da kommt man abends an, isst hervorragend in einer unbedingt empfehlenswerten Osteria am Kanal und wird anschließend vom Tuten des Nebelhorns in einer sehr heimeligen Pension in den Schlaf gewiegt. Das Nebelhorn tutet dann aber die ganze Nacht. Und am nächsten Morgen wird auch klar, warum:

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Wo ist nur die Sonne? Wo der Strand? Und wo ist das Meer? Alles unter einem feinen Schleier. Von der Adria rufen die Möwen. Und schließlich, in etwa fünf Meter Entfernung, wird sie tatsächlich sichtbar.

 

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Grau in grau, ein Wintermeer in der weiten Nebelsuppe. Nur die buntgestrichenen Badeanstalten beschwören einen fernen Sommer, heute allerdings in Pastell. Das passt aber ganz gut zum 60er-Jahre-Charme, den Cesenatico unbeirrt ausstrahlt.

 

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Wie es wohl drinnen aussieht? Leider ist niemand da, um die Tür zu öffnen. Im alten Hafen herrscht dann vollends schöne Melancholie. Aber die Cafés sind immerhin offen, zum aufwärmen bei einer heißen Schokolade.

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